Transfers quer durch die Republik sind im Männerfußball an der Tagesordnung. Bei den Frauen sieht das anders aus, zumal in der 2. Frauen-Bundesliga. Hier sind die meisten Spielerinnen in der regionalen Umgebung oder heimatnah aktiv. Dass jemand über mehr als 500 Kilometer den Verein wechselt und dann noch einmal über 190 Kilometer weiterzieht, ist eher eine Seltenheit. Linda Preuß ist diesen Weg über drei Bundesländer gegangen. Von Jena aus führte sie die Karriere nach Meppen und von dort nach Rheda zum FSV Gütersloh. Seit knapp einem Jahr trägt die 26-Jährige das Trikot unseres Zweitligateams, am vergangenen Sonntag in Nürnberg verzeichnete sie ihren 22. Einsatz für den FSV. Nebenbei feierte sie ein kleines Jubiläum, denn es war ihr 100. Spiel in der zweithöchsten deutschen Spielklasse. Hinzu kommen 36 Partien in der Frauen-Bundesliga, acht im DFB-Pokal und 41 in der B-Juniorinnen-Bundesliga. Eine stolze Bilanz für die Fußballerin.
Linda Preuß stammt aus Rudolstadt, einer südöstlich von Erfurt gelegen 25.000-Einwohner-Stadt in Thüringen. „Ich vermisse das sehr“, schwärmt sie von der hügeligen Landschaft rund um den im Saale-Tal eingebetteten Ort und seiner Nähe zum Thüringer Wald. Und auch touristisch habe Rudolstadt mit dem auf dem Schlossberg über der Altstadt thronenden Residenzschloss Heidecksburg einiges zu bieten. Historische Bedeutung hat das Schillerhaus, in dem am 7. September 1788 das erste Treffen zwischen den beiden berühmtesten deutschen Dichtern, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, stattfand. Hat sie vielleicht wegen dieses heimatlichen Bezugs Deutsch als Lehramtsstudienfach gewählt?
Fußballerisch war der FC Einheit Rudolstadt ihre Heimat. Hier begann sie als Achtjährige, und schnell stach ihr Talent heraus. Die Trainerin der thüringischen Mädchenauswahl, gleichzeitig Trainerin beim FF USV Jena, entdeckte sie und leitete sehr früh den nächsten Schritt ein. Schon im Alter von zwölf Jahren wechselte Linda Preuß ins Internat des Bundesligaklubs. „Meine Eltern fanden das nicht ganz so gut, aber ich wollte unbedingt“, erinnert sie sich. Die anfängliche Schüchternheit („Aber Heimweh hatte ich nicht“) überwand sie als Siebtklässlerin des Staatlichen Sportgymnasiums Johann Christoph Friedrich GutsMuths rasch. „Da muss man schnell reifen“, beschreibt sie die Herausforderung, die gewagt zu haben sie nie bereute: „Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte, ich hatte dort eine tolle Zeit.“ Dass nicht allzu häufig die Gelegenheit bestand, ins nur 40 Kilometer aber doch eine Stunde Fahrtzeit entfernte Rudolstadt zu reisen, wurde kompensiert von den optimalen Gegebenheiten in Jena, um Schule und Fußball miteinander zu vereinbaren. So waren neben perfekten Trainingsbedingungen auch die ärztliche und physiotherapeutische Betreuung an das Internat angebunden. „Ich konnte viel Fußball spielen“, war die Hauptsache für Linda Preuß, deren Mitschülerinnen Lina Hausicke (Werder Bremen) und Luca Graf (RB Leipzig) es ebenfalls in die Frauen-Bundesliga schafften. Ihre Schule brachte mit Thomas Röhler aber auch den Olympiasieger von 2016 im Speerwurf hervor.
Parallel zu den Landesligaspielen mit den USV-Mädchen („Da haben wir immer hoch gewonnen“) kickte sie noch in einer Jungenmannschaft auf Bezirksebene. Sie gehörte zu den ausgewählten C-Juniorinnen, die mit den Gleichaltrigen des „großen“ FC Carl Zeiss Jena trainieren und spielen durften: „Das war cool und eine tolle Erfahrung.“ Als jüngste Spielerin wurde Linda Preuß im Jahr 2012 während der Saison in den Kader des FF USV Jena für die neu geschaffene B-Juniorinnen-Bundesliga hochgezogen. In neun Spielen gelangen dem „Küken“ acht Treffer, und auch in den beiden folgenden Spielzeiten gehörte sie mit insgesamt 16 Treffern zu den Top-Scorerinnen des Jenaer Talentschuppens. Dass sie schon mit 16 Jahren regelmäßig am Training der „Ersten“ teilnehmen durfte, war nur folgerichtig. Die steile Karrierekurve flachte indes mit dem Wechsel zu den Frauen ab: „Ich hatte mehrere Bänderrisse und wollte lieber in der Zweiten spielen.“ Als Stammspielerin des Regionalligateams erzielte sie in zwei Jahren 14 Tore und stieg 2017 in die 2. Bundesliga Nord auf. Linda Preuß hatte das Internat inzwischen verlassen und war in eine private Wohnung umgezogen, wo sie zusammen mit der vom FSV Gütersloh nach Jena gewechselten Annalena Rieke lebte. Das kurze Intermezzo von Christian Franz-Pohlmann als Trainer des Jenaer Bundesligateams (Juli bis November 2016) bekam sie nur am Rande mit. Neben dem Abitur, das sie zusammen mit der heutigen Nationaltorhüterin Stina Johannes machte, bestritt sie in der Saison 2017/2018 für den FF USV Jena II 20 Zweitligaspiele und empfahl sich dabei mit guten Leistungen für einen Aufstieg in die „Erste“. Dass es anders kam, hatte zwei Gründe: Der FF USV Jena stieg aus der Bundesliga ab, und der SV Meppen hatte Linda Preuß ein Angebot unterbreitet. Sie entschied sich für einen Wechsel über 500 Kilometer ins Niedersächsische und schrieb sich an der Universität Münster für ein gymnasiales Lehramtsstudium mit den Fächern Sport und Deutsch ein.
Fünfeinhalb Jahre lang fuhr sie von Münster aus mehrmals wöchentlich und teilweise täglich die 125 Kilometer zum Klub und wieder zurück. Ein Umzug kam ernsthaft nicht in Frage: „Ich lebe gerne in einer schönen Stadt“, sagt die Studentin. Sportlich erlebte sie im Emsland eine überaus erfolgreiche Zeit, denn sowohl 2020 als auch 2022 gelang der Aufstieg in die Bundesliga. Fußballerisch war der SV Meppen vielleicht nicht herausragend: „Aber wir hatten eine Mannschaft mit einem riesigen Zusammenhalt. Das war der Grund, warum wir zweimal aufgestiegen sind.“ Dass zweimal der sofortige Abstieg folgte, konnte an ihrer grundsätzlichen Zufriedenheit nichts ändern: „Das war meine Familie, meine Freunde.“ Eingetrübt wurde die gute Laune, als auf Roger Müller und Theodores Dedis im Sommer 2022 mit Carina Bakhuis eine Trainerin folgte, mit der die Chemie nicht so recht passte, zumal mit Maria Reisinger eine Managerin als starke Frau im Verein regierte, an der man sich ebenfalls reiben konnte.
Linda Preuß war also empfänglich für andere Angebote geworden. Und als der seinerzeitige Gütersloher Trainer Sammy Messalkhi sie anschrieb, war der Wechsel zum FSV angebahnt. „Ich hatte das Gefühl, dass sehr viel Perspektive im Team steckt. Außerdem haben mir das familiäre Umfeld und der menschliche Umgang zugesagt“, begründet sie den Wechsel im Januar 2024. Ein Vorteil dieser rein geographisch naheliegenden Entscheidung: „Ich konnte mein Studium problemlos fortsetzen und weiter professionell Fußball spielen.“ Gelegen kam ihr auch, dass sich damit die Distanz zum Elternhaus in Rudolstadt sowie zu ihrem in Magdeburg lebenden älteren Bruder um eine Stunde Fahrtzeit reduzierte. Neun Spiele absolvierte sie in der Rückrunde der letzten Saison noch für den FSV. Persönliches Highlight war ganz klar am 28. April ihr Last-Minute-Treffer zum 1:0-Sieg in Meppen, der letztlich ihren alten Verein die Rückkehr in die Bundesliga kostete. „Das stand noch lange in der Zeitung, dass ausgerechnet eine Ex-Meppenerin dieses Tor geschossen hat“, sagt sie ohne Genugtuung.
Ein Tor hat Linda Preuß in den zwölf Spielen der laufenden Saison noch nicht geschossen, auch nicht bei der besonders schmerzlichen 1:5-Niederlage am 20. Oktober in Meppen. Zu gerne würde sie das zum Hinrundenfinale gegen Union Berlin nachholen: „Ich fühle mich derzeit sehr gut in Form und habe mir echt was vorgenommen.“ Besonderen Reiz hat diese Partie für sie, weil die Unionerinnen Anna Weis, Athanasia Moraitou und Sarah Abu Sabbah Teamkolleginnen von ihr in Jena beziehungsweise in Meppen waren.
Über die Gründe, warum es für den FSV Gütersloh bislang nicht gut läuft, hat sich Linda Preuß viele Gedanken gemacht und sich intern auch an der Analyse beteiligt. „Wir müssen mannschaftlich mehr zusammenhalten“, ist einer ihrer Wünsche, den sie am letzten Nürnberg-Wochenende trotz der 1:2-Niederlage schon umgesetzt sah. Was den allgemein attestierten Mangel an Führung auf dem Platz angeht, wäre sie gerne bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Egal wie die Hinrunde endet, blickt die Offensivspielerin allerdings optimistisch auf die Rückrunde: „Ich glaube, dass wir überraschen werden und am Ende nicht mehr gegen den Abstieg spielen.“
Auch wenn sich bei den Spitzenklubs vieles zum Positiven entwickelt hat, hält Linda Preuß die finanziellen Rahmenbedingungen im deutschen Frauenfußball für unbedingt verbesserungswürdig. „Die 2. Liga ist deutlich unterbezahlt, wir bekommen ja nicht mal Mindestlohn. In jedem Nebenjob verdient man mehr“, lautet ihre Beschwerde. Sie selbst habe zu Meppener Zeiten sogar zwei Nebenjobs gehabt und komme nur wegen der Unterstützung durch ihre Eltern über die Runden. Aktuell muss sie pausieren, weil sie im Rahmen des Studiums ein Praxissemester an einem Münsteraner Gymnasium absolviert. Aber ab Februar wird sie wieder als Nachhilfelehrerin innerhalb eines Förderprojekts der Stadt etwas dazuverdienen. Dankbar ist Linda Preuß, dass sie in die Spitzensportförderung ihrer Universität aufgenommen wurde. Es gibt indirekt geldwerte Unterstützung wie die kostenlose Nutzung von Uni-Gym und Krafträumen. Sehr hilfreich ist auch die Freistellung von Pflichtveranstaltungen und Prüfungen bei Kollision mit sportlichen Terminen. Zuletzt profitierte sie davon im August, als das Pokalspiel gegen Union Berlin an einem Dienstagabend stattfand. An diesem Sonntag, wenn die Profitruppe aus Köpenick zum Ligaspiel in der Tönnies-Arena antritt, hat Linda Preuß keinen Terminkonflikt. Sie kann sich ganz auf Fußball fokussieren und tut das auch: „Ich habe echt Bock auf dieses Spiel.“