Mit dieser Dramatik hatte wohl kaum jemand noch gerechnet, doch am vorletzten Spieltag machte der FSV Gütersloh das Aufstiegsrennen in der 2. Frauenfußball-Bundesliga wieder richtig spannend. Das als Tabellendritter angetretene Team von Britta Hainke und Sammy Messalkhi triumphierte mit 2:1 beim Meister RB Leipzig. Weil gleichzeitig der 1. FC Nürnberg mit 0:3 beim FC Bayern München II verlor, verringerte sich der Rückstand auf den Tabellenzweiten auf einen Punkt. Damit bescherte sich der FSV für den letzten Spieltag am Pfingstmontag ein echtes Endspiel um den Bundesliga-Aufstieg. Um 14 Uhr gastiert der Tabellenachte Eintracht Frankfurt II in der Tönnies-Arena. Verliert Nürnberg (Torverhältnis 51:31) das Heimspiel gegen die auf Rang zehn liegende U20 der TSG Hoffenheim erneut mit drei oder mehr Treffern Differenz, reicht Gütersloh (47:29) schon ein Remis, um den Club aus Franken noch abzufangen. Spielt Nürnberg unentschieden, wäre der FSV Gütersloh bei einem eigenen Erfolg auf jeden Fall zweiter Aufsteiger.
An Dramatik ließ auch die Partie vor 1.500 Zuschauern im RB-Trainingszentrum nichts zu wünschen übrig. Die Ankündigung des DFB, die offizielle Meisterehrung unmittelbar nach dem Spiel durchzuführen, hatte für eine spezielle Motivation des Leipziger Teams und für eine besondere Erwartungshaltung beim Publikum gesorgt. Leider konnten beide Teams nicht in Bestbesetzung antreten. Während Leipzig auf den Einsatz der am Bauch operierten Top-Torjägerin Vanessa Fudalla (20 Saisontreffer) verzichten musste, fehlte unserem Team Melanie Schuster. Die Innenverteidigerin wurde nach ihrem Achillessehnenriss am Freitag im Städtischen Klinikum Gütersloh von Vereinsarzt Dr. Andreas Elsner erfolgreich operiert und befindet sich seit Samstag wieder daheim in Kamen.
Unsere Mädels ließen sich weder von der Kulisse beeindrucken noch von den Vorschusslorbeeren für die Gastgeberinnen, die auch mit dem Erreichen des DFB-Pokal-Halbfinales für Furore gesorgt hatten. Schon nach 100 Sekunden zeigte Jacqueline Baumgärtel, dass die Leipziger Fans mit ihren Sprechchören („Hier regiert der RBL“) diesmal falsch lagen. Nach einer Balleroberung von Hedda Wahle schoss sie den Ball aus 18 Metern über RB-Keeperin Gina Schüller hinweg an die Unterkante der Latte, von wo aus er kurz vor der Torlinie auf- und wieder ins Feld zurücksprang. Es war der Auftakt für eine ereignisreiche Partie in der beide Teams weitere Chancen hatten. Gütersloh verbuchte durch Ronja Leubner ebenso einen Lattentreffer wie Leipzig durch Johanna Kaiser (17.). Dem vermeintlichen Leipziger Führungstor durch Medina Desic (24.) wurde wegen einer Abseitsstellung ohne große Beschwerden die Anerkennung versagt. Somit ging unser Team mit einer 1:0-Pausenführung in die Kabine. Lena Strothmann hatte in der 35. Minute eine Flanke von Baumgärtel mit der Brust perfekt angenommen, benötigte dann aber drei Versuche, um Torhüterin Schüller aus kurzer Distanz zu bezwingen. „Plötzlich war es ganz ruhig im Stadion“, spürte Britta Hainke die Schockwirkung dieses Treffers. Die FSV-Trainerin sah sich in ihrer schon vorab geäußerten Meinung („Wir waren beim 0:4 im Hinspiel nicht so schlecht, wie es das Ergebnis ausdrückte“) bestätigt und urteilte jetzt sogar: „Heute waren wir noch besser.“
Was wie schon des öfteren nach einer 1:0-Führung fehlte, war das zweite Tor. Zweimal hatte die fleißige Lena Strothmann zu Beginn der 2. Halbzeit zweimal die Chance dazu. Erst brachte sie aus 16 Metern freistehend nur einen zu schwachen Abschluss genau auf Gina Schüller zustande (51.). Dann (58.) umkurvte sie die Leipziger Keeperin nach einer Baumgärtel-Hereingabe gekonnt und schob den Ball ins Tor. Dass die Assistentin die Fahne hob und Schiedsrichterin Katrin Rafalski auf Abseits entschied, wunderte Freund und Feind gleichermaßen. Die Gütersloher Enttäuschung war umso größer, als Jenny Hipp in der 66. Minute das 1:1 erzielte, weil sie nach einer flachen Hereingabe von außen vor Anna Höfker am Ball war.
Die Belohnung für den Offensivgeist der Mannschaft und den Wechselmut der Trainer kassierten unsere Mädels in einer dramatischen Schlussphase. Die Entscheidung nahm ihren Anfang, als sich Defensiv-Organisatorin Maren Tellenbröker ohne entsprechenden Auftrag auf die Mittelstürmer-Position in den Leipziger Strafraum schlich. „Ich wollte unbedingt das Tor machen“, gab sie später unter Schmerzen zu Protokoll. Dazu kam es allerdings nicht, denn in der 89. Minute ging Tellenbröker nach einem Zuspiel von Jacqueline Baumgärtel im Leipziger Strafraum zu Boden. Während die FIFA-Unparteiische Rafalski sofort auf den Elfmeterpunkt zeigte, winkten Spielerinnen beider Teams in Befürchtung einer schweren Verletzung sofort Hilfe von außen auf den Platz. Tellenbröker, die ihr linkes Knie überstreckt hatte, blieb minutenlang am Boden liegen und humpelte nach Behandlung mit Unterstützung vom Platz. Statt ins Krankenhaus ging es für die 22-Jährige später mit dem Mannschaftsbus nach Hause. „Vielleicht ist es doch nicht so schlimm“, signalisierte Britta Hainke leise Hoffnung, dass es sich nicht um einen Kreuzbandriss handeln könnte.
Die erfahrene Rafalski (42) reagierte auf die Leipziger Proteste und fragte mehrfach auch bei der vom Schmerz gezeichneten Maren Tellenbröker nach, ob sie gefoult worden war, was diese nicht ausschließen konnte. „Ich habe es nicht gesehen, weil jemand davorstand“, erlaubte sich Britta Hainke ohne nachträgliches Betrachten der Szene kein Urteil. Die Bewegtbilder aus der Live-Übertragung von DFB-TV lassen indes keinen Zweifel daran, dass Tellenbröker nicht Opfer eines Foulspiels wurde, sondern sich ohne fremdes Zutun durch eine unglückliche Bewegung verletzte. Katrin Rafalski blieb bei ihrer Entscheidung. Es lief die zweite Minute der Nachspielzeit als Paula Reimann den Elfmeter zum vermeintlichen 1:2 ins rechte untere Eck verwandelte. Doch weil angeblich Gütersloher Spielerinnen zu früh in den Strafraum gelaufen waren, ließ die Unparteiische den Strafstoß wiederholen. „Eiskalt, wie Paula das gemacht hat“, schwärmte Britta Hainke anschließend von der Nervenstärke Reimanns. Die 21-Jährige verlud die Leipziger Torhüterin ein zweites Mal und vollstreckte diesmal nach links unten. In Unterzahl überstand der FSV Gütersloh weitere bange Minuten und auch den finalen Schuss der Ex-Gütersloherin Friederike Kempe über das von Sarah Rolle souverän gehütete Tor.
Die „Schieber, Schieber-Rufe“ aus dem Leipziger Fanblock verstummten schnell, als sich das Team von RB Leipzig um Trainer Saban Uzun bei der offiziellen DFB-Ehrung für den verdient gewonnen Titel feiern ließ. Nur sieben Jahre, nachdem das Projekt bei den „Roten Bullen“ mit dem Start in der Landesliga begonnen worden war, zieht der Klub aus Sachsen nun auch mit den Frauen in die höchste Spielklasse ein. Der FSV Gütersloh gratulierte den Gastgebern anerkennend – und hofft auf ein Wiedersehen in der nächsten Saison.
FSV Gütersloh: Rolle – Baum (88. Manteas), Höfker, Reimann, Deppe – Tellenbröker – Leubner (88. Stojan), Wahle (54. Kreil), Aradini – Baumgärtel, Strothmann (66. Kappmeier).
Im Aufgebot: Gomulka, Pagel, Mischke (Tw).
Tore: 0:1 (35.) Strothmann, 1:1 (66.) Hipp, 1:2 (90.+3) Reimann (FE).