In der vierten Minute der Verlängerung war am Dienstag im Pokalspiel gegen Union Berlin für Marie Schröder Schluss. Die immer wieder mit langen Sprints in Richtung Union-Tor unterwegs gewesene Stürmerin, die schon in der Endphase der regulären Spielzeit wegen Krämpfen behandelt wurde, musste vorsichtig schreitend den Platz verlassen. „Meine Waden sind explodiert“, lautete ihre bildhafte Zustandsbeschreibung. War die 25-Jährige etwa nicht gut vorbereitet auf harte Belastungen? Fehlte ihr womöglich muskuläre Ausdauer? Wohl kaum. Marie Schröder, als Polizistin schon von Berufs wegen an körperlicher Fitness interessiert und auch privat eine vielseitige Aktivsportlerin, hat neben dem Training mit dem Zweitligateam des FSV Gütersloh nämlich eine ganz spezielle Saisonvorbereitung bestritten. Trailrunning gehörte dazu, Bergsteigen auch – und ein fußballerischer Polizeieinsatz. Los ging es am 7. Juli. Sie hatte ihrem Freund Aaron Rolle zwei Tickets für den Halbmarathonlauf auf der Seiser Alm in Südtirol geschenkt, und um 9 Uhr morgens standen sie gemeinsam mit rund 700 weiteren Teilnehmern an der Startlinie. Start und Ziel bei diesem unter Ausdauerfreaks beliebten Event befinden sich in Compatsch auf 1.842 Meter Höhe. Auf der exakt 21,097 Kilometer langen Strecke über die größte Hochalm Europas, die von der malerischen Kulisse der bis zu 3.000 Meter hohen Dolomiten umgeben ist, müssen rund 600 Höhenmeter im Aufstieg (und auch wieder im Abstieg) bewältigt werden. Höchster Punkt ist bei Kilometer 14 der Punta D‘oro mit 2.048 Metern. Während Aaron Rolle, Bruder von FSV-Keeperin Sarah Rolle, immerhin auf die Erfahrung vom letztjährigen Münster-Marathon zurückgreifen konnte, war Marie Schröder selbst im Flachen niemals zuvor so eine lange Strecke gelaufen. Eine Woche zuvor hatte sie trainingshalber immerhin einen Test über zehn Kilometer mit 300 Höhenmetern absolviert. Abgeschreckt hatte sie das jedoch nicht, eher im Gegenteil: „Dadurch habe ich nur noch mehr Lust auf den Lauf bekommen.“ Vorgenommen hatten sich beide keine Zeit: „Das Ziel war durchhalten und ankommen.“ Und weil das Lauftempo „matchte“, konnten beide das Erlebnis auch gemeinsam genießen. Sie absolvierten den vorwiegend über schottrige Forst- und idyllische Wanderwege führenden Halbmarathon ohne toten Punkt: „Die Landschaft war total schön und abwechslungsreich. Man hatte immer wieder kleine Highlights, auf die man sich freuen konnte.“ Und weil Teile der Strecke von Wolken umhüllt waren, fühlte sich Marie Schröder „wie im Himmel“. Strapaziös war der „Höhenflug“ trotzdem. Als beide nach 2:20:16 Stunden freudestrahlend durchs Ziel gelaufen und ihre Medaillen in Empfang genommen hatten, empfahl ihr die Fitnessuhr 96 Stunden Erholung. An die Empfehlung hielten sich „Curly“ und ihr Freund nur bedingt. Mit dem Wohnmobil fuhren sie weiter nach Dorf Tirol, wo in der herrlichen Bergwelt Touren mit dem Gravelbike auf dem Programm standen. Das schürte die Lust auf einen nächsten Kraftakt. „Warum nicht auf den höchsten Berg Deutschlands steigen“, habe sie sich gedacht. Ausgestattet mit Respekt, ausreichender Physis und ein wenig Erfahrung („2021 haben wir die Alpenüberquerung auf dem E5 gemacht“) wählten sie am 14. Juli einen ohne spezielle Kletterausrüstung zu bewältigenden Weg auf die 2.962 Meter hohe Zugspitze. Von der Ehrwalder Alm auf österreichischer Seite führt die 15 Kilometer lange Strecke über das Gatterl und insgesamt 2.100 Höhenmeter hinauf auf den Gipfel. „Unsere reine Bewegungszeit war 5 Stunden und 16 Minuten“, stellte Marie Schröder am berühmten goldenen Gipfelkreuz fest. Das alpine Panorama war leider bescheidener als beim Schönwetter-Start erhofft: „Die Zugspitze lag komplett im Nebel.“ Den tags drauf angesetzten Start der zweiten Vorbereitungsphase beim FSV Gütersloh verpasste sie. Abgesprochen mit dem Trainerteam war auch, dass sie nach ihrer Rückkehr nur eine Einheit absolvierte und dann für weitere Tage „dienstlich“ verhindert war. Die Polizei „kommandierte“ sie zu einem zweitägigen Sichtungstraining für die NRW-Auswahl. Anschließend nahm sie in Selm an der Endrunde der deutschen Polizeimeisterschaft teil. Nordrhein-Westfalen gewann als Titelverteidiger das zuletzt 2019 ausgetragene Turnier. Sowohl bei den beiden Vorrundensiegen gegen Hessen (6:0) und Berlin (6:0) als auch im Finale gegen die Auswahl von Bundespolizei/BKA (3:0) trug sich Marie Schröder in die Torschützenliste ein. Sonderurlaub oder Beförderung gab es für die in Münster beschäftigte Polizeikommissarin nicht, aber negativ auf die für September erwartete Übernahme als Beamtin auf Lebenszeit wird sich der sportliche Erfolg ganz sicher auch nicht auswirken. Zum siegreichen Team gehörte neben den beiden Ex-Gütersloherinnen Marina Hermes und Svenja Hörenbaum sowie den beiden Arminia-Bielefeld-Spielerinnen Jocelyn Hampel und Lisa Lösch mit Nele Schmidt auch eine Kollegin aus dem FSV-Zweitligateam. Beide erhielten aufgrund ihrer Leistungen sogar Einladungen für die Sichtung zur deutschen Polizei-Nationalmannschaft. So sehr sich die Stürmerin auch über den Titelgewinn mit der Polizei freute, bedauerte sie auch, beim fast zeitgleichen Triumph des FSV Gütersloh beim Steka-Cup in Schleidweiler nicht dabei gewesen zu sein. Anschließend aber gab die Trailrunnerin, Bergsteigerin und „Berufsfußballerin“ im Training und bei den Testspielen so viel Vollgas, dass Cheftrainer Daniel Fröhlich gar keine andere Wahl hatte, als sie gegen Union Berlin für die Pokal-Startelf zu nominieren. Nach ihrem „verkrampften“ Ausscheiden und der bitteren Niederlage im Elfmeterschießen gab es von der Verinsfußballerin Marie Schröder gleich eine Ansage für die Liga: „Dann schlagen wir Union halt im nächsten Spiel.“ Gut für ihre Waden: Am 15. Dezember wird es keine Verlängerung geben.